Transfeindlichkeit als Strategie im Rahmen der Olympischen Spiele (2024)

Transfeindlichkeit als Strategie im Rahmen der Olympischen Spiele (1)

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Stand: 09.08.2024 18:51 Uhr

In der Debatte um die algerische Boxerin Imane Khelif wird viel Desinformation verbreitet. Dabei geht es oft nicht einmal um transgeschlechtliche Menschen. Die Verunsicherung wird strategisch genutzt.

Von Melisa Job, tagesschau.de

Um Athletinnen bei den Olympischen Spielen gab es zuletzt viel Wirbel. Im Anschluss an Imane Khelifs schnellen Sieg über die Italienerin Angela Carini wurde vielfach behauptet, Khelif sei eine trans Frau.

Auch große Namen meldeten sich dazu: Der US-amerikanische Unternehmer Elon Musk und die britische Autorin J. K. Rowling hatten sich auf der Plattform X etwa dazu geäußert, wie unfair Khelifs Teilnahme am Frauenwettkampf angeblich sei. Rowling postete, sie behaupte nicht, dass Khelif trans sei, habe aber etwas dagegen, dass männliche Gewalt gegen Frauen zu einer olympischen Disziplin würde.

Diskussionen um mehrere Sportlerinnen

Nicht nur Khelif, auch die taiwanische Boxerin Lin Yu Ting steht bei den diesjährigen Olympischen Spielen im Zentrum vieler Anfeindungen. Mark Adams, Sprecher des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) drückte sich so aus: Khelif und Yu Ting seien beide als Frauen geboren und registriert worden, hätten ihr Leben als Frauen gelebt, als Frauen geboxt und hätten "einen weiblichen Pass".

Gegen die kosovarische Judoka Laura Fazliu wurde in diesem Jahr in den sozialen Medien die Behauptung erhoben, sie sei ein "biologischer Mann" und der Kampf sei deshalb unfair. Auch für diese Behauptungen gibt es keine Beweise.

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Umstrittener Geschlechtstest

Sowohl Lin Yu Ting als auch Imane Khelif waren von den Boxweltmeisterschaften der Frauen 2023 disqualifiziert worden, nachdem bei einem umstrittenen Geschlechtstest nach Angaben des Boxverbands IBA Ergebnisse festgestellt worden waren, die nicht den Teilnahmekriterien für Frauenwettbewerbe entsprachen. Das IOC hatte dem Boxverband IBA wegen Vorwürfen der Korruption und finanzieller Intransparenz die Anerkennung entzogen.

Die Schlussfolgerung, dass es sich also bei den untersuchten Personen um Männer handeln müsse, greift aber zu kurz. Denn das körperliche Geschlecht eines Menschen hat mehrere Komponenten. Merkmale sind nicht nur der Phänotyp, also das äußere Erscheinungsbild und die äußerlich sichtbare Ausprägung der Geschlechtsorgane, sondern auch das Zusammenspiel der Hormone - etwa die Konzentration von Testosteron oder Östrogen - und das chromosomale Geschlecht.

Transidentität und Intersexualität

Nach den Regelungen des IBA ist entscheidend, ob eine Person XX- oder XY-Chromosomen aufweist. In der Regel haben cisgeschlechtliche Frauen - also Frauen, die sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren - zwei X-Chromosomen und cisgeschlechtliche Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Die Vereinten Nationen geben an, dass bis zu 1,7 Prozent der Bevölkerung mit intergeschlechtlichen Merkmalen geboren werden.

Es kann vorkommen, dass das chromosomale Geschlecht weder XX noch XY, sondern zum Beispiel X oder XXY lautet. Eine andere Möglichkeit ist, dass das chromosomale Geschlecht nicht mit den äußeren Geschlechtsmerkmalen oder der erwarteten Zusammensetzung des Hormonspiegels übereinstimmt.

In der Debatte wird zudem häufig Transidentität mit Intersexualität gleichgesetzt oder vermischt. Es gilt zu unterscheiden: Wer trans ist, identifiziert sich nicht mit dem Geschlecht, das anhand des äußeren Erscheinungsbilds bei der Geburt festgelegt wird. Viele intergeschlechtliche Menschen geben ihr Geschlecht inzwischen mit "inter" an, andere identifizieren sich als Mann, als Frau oder mit keiner Geschlechterkategorie.

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Zweifel an Geburtsurkunde

Den Falschbehauptungen der vergangenen Wochen setzte der Vater von Imane Khelif ein Video entgegen, in dem er ihre Geburtsurkunde in die Kamera hielt, auf der seinem Kind das weibliche Geschlecht zugewiesen ist.

Kritiker zweifelten die Glaubwürdigkeit der Geburtsurkunde an, da diese ein Datum von 2018 trägt. Dabei ist üblich, dass eine Geburtsurkunde nicht unmittelbar bei der Geburt ausgestellt, sondern erst bei Bedarf beantragt wird und folglich das Ausstellungsdatum ein späteres ist.

Auch wurde ein Foto verbreitet, auf dem Khelif im Ring einen vermeintlichen Hodenschutz trägt. Ein solcher Tiefschutz ist allerdings in vielen Sportarten auch für Frauen verbreitet, um Stöße und Tritte in den Unterleib abzudämpfen.

Ein inzwischen gesperrter Account auf der Plattform X hatte sich zudem als Imane Khelif ausgegeben und weitere Fehlinformationen verbreitet.

"Eine typische Strategie"

"Das ist einfach eine typische Strategie von rechts", bewertet Julia Monro die transfeindliche Desinformation. Sie ist Mitglied des Bundesvorstands des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), der sich auch für die Rechte von trans- und intergeschlechtlichen Personen einsetzt. Ziel der Desinformationskampagnen ist es laut Monro, in der Gesellschaft zu polarisieren und zu verunsichern.

Populismus arbeitet immer mit Gefühlen, Populismus interessiert sich nicht für Fakten.

Trans-Athleten bei den Olympischen Spielen

Dabei ist das Narrativ kein neues: Immer wieder taucht die Behauptung auf, trans Personen würden vielfach bei den Olympischen Spielen antreten und cisgeschlechtliche Frauen daran hindern, zu gewinnen. Das ist so nicht richtig.

Seit 2004 ist transgeschlechtlichen Athletinnen und Athleten eine Teilnahme an den Olympischen Spielen erlaubt. 2021 war mit der neuseeländischen Sportlerin Laurel Hubbard erstmals eine offen transgeschlechtliche Gewichtheberin bei den Olympischen Spielen angetreten. Sie war nach drei Fehlversuchen aus dem Wettbewerb ausgeschieden.

Quinn, eine nicht-binär transgeschlechtliche Person, gewann im Jahr 2021 mit der kanadischen Fußball-Frauen-Nationalmannschaft die olympische Goldmedaille; bei den Sommerspielen in Frankreich schied das kanadische Team im Viertelfinale gegen Deutschland aus. Nicht-binäre Menschen haben eine Geschlechtsidentität, die weder ganz weiblich noch ganz männlich ist.

Nikki Hiltz aus den USA identifiziert sich ebenfalls als nicht-binär und nimmt in Paris am 1.500-Meter-Lauf in der Frauenkategorie teil. Der philippinische trans Boxer Hergie Bacyadan startet bei den Frauen, da er keine körperliche Geschlechtsangleichung hatte.

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Richtlinien im Spitzensport teils vage

Im November 2021 hatte der IOC Rahmenrichtlinien veröffentlicht, der die Werte Inklusion, Sicherheit und Fairness im Sport betonte, aber keine grundsätzlichen Teilnahmebedingungen definierte. Die einzelnen Disziplinen seien zu unterschiedlich. Der IOC zieht somit die jeweiligen Sportverbände in die Verantwortung - einige haben seitdem ihre Regelungen angepasst.

Der Internationale Schwimmverband "World Aquatics" hat so im Juni 2022 eine Regelung veröffentlicht, nach der trans Frauen, die eine männliche Pubertät durchlaufen haben, nicht bei Frauenwettkämpfen antreten dürfen. Eine körperliche Geschlechtsangleichung müsste demnach vor dem 12. Lebensjahr passieren - Bedingungen, die kaum eine trans Person erfüllen kann.

In Deutschland etwa ist eine geschlechtsangleichende Hormontherapie mit Einverständnis der Eltern in der Regel erst ab 16 Jahren möglich. Aufgrund der Regelung von "World Aquatics" wurde die US-amerikanische Schwimmerin Lia Thomas nicht zu den diesjährigen Olympischen Spielen zugelassen.

Der Internationale Leichtathletikverband "World Athletics" veröffentlichte im März 2023 eine ähnliche Regelung. Der Internationale Schwimmverband hatte 2023 beim Weltcup in Berlin eine dritte offene Kategorie eingeführt, um trans- und intergeschlechtliche Sportler zu inkludieren. Für die vorgesehenen Wettbewerbe waren in Berlin aber keine Meldungen eingegangen.

Kritiker bemängeln, dass etwa bei einem Wettkampf eines trans Mannes, der eine weibliche Pubertät und einer trans Frau, die eine männliche Pubertät durchlaufen hat, der Wettkampf dennoch ungerecht sei.

Keine neue Debatte

Diese Fragestellungen sind nicht neu, sondern bereits seit Jahren Thema in der Sportwelt. So hatte etwa die südafrikanische Olympiasiegerin Caster sem*nya 2021 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Klage gegen einen Ausschluss von Athletinnen mit natürlich hohen Testosteronwerten eingereicht. Die Klage war zwar erfolgreich, änderte aber nichts an den Regeln des Internationalen Leichtathletikverbands.

Auf der einen Seite wird kritisiert, Athletinnen mit Variationen in der Geschlechtsentwicklung hätten durch ihre Teilnahme unfaire Vorteile. Auch wird befürchtet, dass Exzellenz im Frauensport an Bedeutung verlieren kann, wenn das binäre System aufgeweicht würde. So gäbe es etwa Tausende Männer und Jungen, die schneller laufen könnten als eine Olympiasiegerin, argumentierte Bewegungswissenschaftler Ross Tucker gegenüber dem "Spiegel".

Auf der anderen Seite wird entgegengehalten, es gäbe ohnehin immer Sportler, die anderen physisch überlegen seien. So hätte etwa Michael Phelps aufgrund seiner großen Armspannweite auch einen physischen Vorteil beim Schwimmen. Außerdem sei zu den Vorteilen aufgrund bestimmter körperlicher Voraussetzungen bisher nicht genug geforscht worden.

Klare Haltung vom IOC gefordert

Die Kontroversen zeigen die Komplexität von Geschlechterfragen im Sport auf. Julia Monro vom LSVD kritisiert den Umgang mit der Debatte: "Es geht hier um Menschen, die in ganz vielen Situationen des täglichen Lebens eine Benachteiligung erfahren. Im Sport sollten sie eigentlich so sein, wie sie sind."

Sie fordert eine klare Haltung des IOC: "Ob es da Regeln gibt, die allen Menschen gerecht werden, das wage ich zu bezweifeln."

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. August 2024 um 17:00 Uhr.

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